Radio an, Radio aus
Written by Roland on 27. März 2022
Das Antidepressivum: Radio an, Radio aus
Mal unter uns: hören Sie noch Radio? Echt? Ich packe das nicht mehr, und das liegt nicht am fortgeschrittenen Alter. Es liegt am Programm.
Ab und zu schalte ich noch in der Küche das Rundfunkempfangsgerät zur vollen Stunde ein. Nicht genau pünktlich, sondern mit ein paar Minuten Verspätung, so ist die Gefahr geringer, noch etwas von den Nachrichten mitzubekommen, denn es ist die Wettervorhersage, die mich interessiert. Fragen Sie mich nicht, ich wundere mich selber darüber, dass ich dem Radio zumindest das Wetter noch abkaufe. Ich weiß, es ist inkonsequent, dies zu tun, und ein Blick auf die Wetter-App im tragbaren Telefon würde mich sogar deutlich detaillierter informieren. Aber da ist noch ein alter Reflex in mir, den ich nicht unter Kontrolle habe. Er stammt aus grauer Vorzeit, als ich ein geradezu passionierter Radiohörer war. Und schlechte Angewohnheiten, erst recht, wenn sie sich Jahrzehnte lang ungestört entwickeln konnten, lassen sich nun einmal nicht rein mit dem Verstand ablegen.
Es kam nicht selten zu Rückfällen. Dadurch habe ich manches Mal zu wirklich rabiaten Mitteln greifen müssen. Einmal habe ich die Stabantenne des Gerätes abgeknickt, um dem Geblubber ein definitives Ende zu bereiten. Doch schon Tage später klebte ich das lose Ende an den verbliebenen Stummel und konnte wieder unverrauscht empfangen. Das hielt nicht lange, und anstatt das als Zeichen zu werten, steckte ich ein Stück Kupferkabel in den hohlen Antennenrest. Fürs Wetter reicht das.
Ich war viele Jahre lang ein passionierter Radiohörer. Ob daheim, ob im Auto, ob im Büro oder im Garten, das Radio war von morgens bis abends dabei. Die Leidenschaft begann mit einem sehr kleinen Gerät, das bei meinem Vater in der Werkstatt stand, aber nie eingeschaltet wurde. Ich konfiszierte es, stellte es neben mein Bett und schaltete ein. Schnell war mir klar, warum es nie lief und mein Vater es so bereitwillig heraus gerückt hatte: es war defekt. Genauer, eine der beiden darin arbeitenden Röhren blieb kalt und dunkel. Und so stand das Radio, klein wie eine mittelgroße Zigarrenkiste, nur zum Angucken da. Man konnte es zwar einschalten, aber außer der kleinen Birne, die die Skala erhellte, ging nichts an. Immerhin, das sah auch ganz hübsch aus und taugte durchaus als Nachtlicht.
Sehr, sehr viel später kaufte ich tatsächlich, mehr aus Neugier, eine Röhre und rang dem Gerät einige Töne ab; dazu musste ich in die Antennenbuchse einen Draht stecken und diesen am anderen Ende in der Hand halten. Das Klangerlebnis war nicht berauschend, sondern rauschend, eben so, wie man es von der Mittelwelle erwarten konnte. Als Antennenverstärker war ich nur sehr kurz tätig, dann stellte ich fest, dass auf dem Antennendraht Phase lag. Der Spannungsprüfer fiel mir vor Schreck aus der Hand.
Das leuchtend grüne Magische Auge
In der guten Stube hatten wir eines jener großen Radios, das einen eigenen Beistelltisch oder die Abstellfläche der Anrichte verlangte. Die Front bestand aus der goldgelben Lautsprecherverkleidung sowie einer beeindruckenden Rechteckskala mit Schrägtabelle, auf der Sender aus nahezu aller Welt angezeigt wurden, Vaticano, Monte Carlo, Milano, Porto und Oslo, aber auch Beromünster, Lahti, Limoges und Sottens, Kalundburg und Droitwich, BBC, Praha, Monte Ceneri, AFN, ja selbst WDR/NDR ließen sich empfangen. Das Gerät verfügte bereits über UKW, was sich vor allem beim Radiokonzert am Sonntagmorgen bezahlt machte; hier ließ sich selbst den Einsatz einer Triangel wahrnehmen.
Wie alle Kinder liebte ich das Radio nicht nur wegen der daraus ertönenden Geräusche, sondern wegen des leuchtend grünen Magischen Auges, das zur Feinabstimmung der Sender diente. Bei allem technischen Fortschritt, den das Radio bis heute gemacht hat – der Verzicht auf das Magische Auge war ein schwerer Schlag für den Ästheten in mir. Meinetwegen muss es keine Funktion mehr besitzen, Hauptsache, es ist da. Aber es ist weg. Als ich in den 1970er Jahren meinen Zivildienst in einem Altenheim machte, entdeckte ich einmal im Keller einen Lagerraum, der bis unter die Decke mit diesen Radios vollgestopft war; jedes erzählte die traurige Geschichte eines verstorbenen Heiminsassen…
Für mein eigenes Programm besaß ich ein kleines, tragbares Transistorgerät von der Größer einer Packung Roth-Händle; so ein Teil war in den frühen 1960er Jahren etwas Besonderes, das nicht jeder hatte. Es hat ein Band, die Mittelwelle, und auch die nur reichlich berauschend, aber immerhin. Abends wurde der Empfang besser, dann schafften es auch ein paar Sender aus dem weiteren Umfeld wie AFN und der Piratensender Veronica von der Nordsee bis zu mir. Ich habe neulich beim Kramen das Radio wiedergefunden, die Drehpotentiometer für Senderwahl und Laustärke krachen entsetzlich, aber mit etwas Kontaktspray sollte das zu beheben sein. Nur wozu? Ich höre doch kein Radio mehr. Und Veronica ist seit 40 Jahren legalisiert.
Der Entzug begann schleichend. Ich erinnere mich sehr genau daran, wie mir die ersten Zweifel kamen. Es mag jetzt eine Reihe von Jahren her sein, da saß ich eines vormittags beim zweiten Frühstück und lauschte einer Sendung im WDR, ein Portrait einer Person. Vorgestellt wurde eine Frau, die bei der Stadt Köln arbeitete. Ihr Beruf war allerdings nicht der Grund für die halbe Stunde Sendezeit, die man ihr widmete. Nein, es war etwas anderes. Die Frau war davon überzeugt, dass es Elfen und Einhörner und Zwerge gebe, und das nicht nur in Wald und Feld, sondern auch in der Stadt. In einer Umgebung also, die man nicht gerade zu den natürlichen Habitaten derartiger Lebewesen zählt. Erstaunlich genug also, um darüber zu berichten. Nicht nur in Parkanlagen und Gärten, so die Dame, konnte man die putzigen kleinen Freunde antreffen, sondern auch auf Verkehrsinseln, sofern diese ein paar Grundvoraussetzungen für ein zufriedenes Dasein boten. Bewuchs, Gesträuch, Versteckmöglichkeiten, feste Behausungen, buddelbare Erde, ein angemessenes Freizeitangebot, was immer halt Einhorn und Gnom so erwarten.
Homöopathie, Lachyogagruppen und Geistheiler
Dies hielt man beim WDR offenbar für so interessant, dass gute 30 Minuten Zeit damit ausgefüllt wurden. Die Moderatorin ließ nicht erkennen, dass sie einen gewaltigen Dachschaden für wahrscheinlicher hielt als Elfen auf dem Neumarkt. Und während ich fassungslos zuhörte, dachte ich im Kreis: In Psychiatrien sitzen Leute für weitaus weniger…. für weitaus weniger…weitaus weniger…
Die Zweifel am Wert von Radiosendungen wuchsen mehr mit jedem Bericht über Homöopathie, Lachyogagruppen auf La Gomera und Geistheiler in der Eifel. Nur die politische Berichterstattung war mir noch nicht aufgefallen; das kam dann erst in den letzten Jahren hinzu.
Radio an.
„…freue ich mich, nach den Nachrichten den Blogger und linken Aktivis“
Radio aus.
Ja, eine große, Jahrzehnte währende Liebe ist zerbrochen. Nostalgisch gestimmt blicke ich auf all die Sendungen zurück, die mir einst lieb und teuer waren. Nie verpasste ich ein „Zeitzeichen“, nie ließ ich ein „Kalenderblatt“ ungehört zu Boden flattern. Ich lernte viel über höheren Blödsinn, wenn der WDR Moderator Dieter Thoma spät abends mit erlesenen Gästen in der Sendung „Die fixe Idee“ über so spannende Themen wie „Brauchen Schizophrene zwei Steuerkarten?“, „Kann man letzte Worte früher sprechen?“, oder „Wie kann man Weihnachten im Auto feiern?“ diskutierte.
Das von Thoma 1965 gestartete „Mittagsmagazin“ im WDR war Pflicht, ebenso wie die Musiksendungen mit Winfried Trenkler (Progrock und elektronic), Hans Jürgen Schaal (Jazz) und Karl Lippegaus (noch mehr Jazz). Ein irrlichternder Geist tauchte in den 1970er Jahren im Äther auf, es war der Schauspieler und Autor Balduin Baas, der eine böse Sendung gestaltete, die „Seid frech zueinander“ hieß. Sie war so böse, dass der WDR nach 20 Folgen genug hatte. Ich schrieb damals für ein kleines Stadtmagazin einen Artikel über Baas und die Sendung, wovon er irgendwie Wind bekam und mir zum Dank zwei signierte Fotos schickte, großartige Aufnahmen seiner Frau Charlotte March, eine bis heute hoch angesehene Fotografin. Baas war ein echter Charakterkopf, kein geringerer als Federico Fellini besetzte mit ihm die Hauptrolle in seinem Film „Die Orchesterprobe“. Später verschleuderte Baas sein Talent in Sodbrennern wie den „Lümmel-Filmen“ und diversen TV Schmonzetten. Er war halt alt und brauchte das Geld. Seine Autobiografie „40“ sowie sein Roman „Fritz“ sind höchst lesenswert und antiquarisch für kleines Geld erhältlich.
Der schrägste Vogel im Radio war ohne Frage Heino Jaeger. Wenn er eine Nummer in der samstäglichen „Unterhaltung am Wochenende“ ablieferte, ließ ich alles stehen und liegen und lauschte ihm nicht weniger andächtig als einst das Publikum Mose bei der Verkündung der 10 Gebote. Ich hatte keine Ahnung, wer Heino Jaeger war, ich wusste nur: So einen gibt es nicht zweimal. Das erkannte auch Hanns Dieter Hüsch, der Heino Jaeger förderte und mit Jobs versorgte. Loriot hat später über Heino Jaeger gesagt: „Wie konnte es geschehen, dass Heino Jaeger 25 Jahre ein Geheimtipp blieb? Wir haben ihn wohl nicht verdient.“ Eckhard Henscheid nannte ihn den „Mozart der Komik“. Jaeger war in erster Linie Maler, er hatte mit Horst Jansson studiert und begann irgendwann damit, aus dem Stehgreif Geschichten zu erzählen, die ihn schließlich auf Bühnen und ins Radio brachten. Man kann Hanns Dieter Hüsch nicht genug dafür danken, dass er Jaeger einem breiteren Publikum bekannt machte und etliche seiner Sketche als Tondukomente erhalten sind. Jaeger wurde im Laufe der Jahre immer wahnsinniger, was sich leider nicht in genialen Sendungen manifestierte, sondern im Abfackeln seines Ateliers und Einweisung in ein betreutes Wohnen, er starb 1997.
„Ich glaube, mir wird schlecht!“
In der gleichen Sendereihe „Unterhaltung am Wochenende“ waren immer wieder großartige Wortkünstler zu Besuch, so der Liedermacher Ulrich Roski und der bis heute aktive Thomas C. Breuer; auch die frühen Chaoten von Insterburg und Co. waren gern gehörte Gäste, die für die damalige Zeit ausgesprochen unkonventionelle Beiträge in die Ohren der Zuhörer schickten. Ich erinnere mich an eine Nummer, da spielen sie eine Platte von Roy Black, zunächst ganz kommentarlos, dann plötzlich hört man die Stimme von Karl Dall, der ein verkniffenes „Ich glaube, mir wird schlecht!“ von sich gibt. Die anderen stimmen der Reihe nach mit ein, schließlich beginnen würgende Laute, denen das Geräusch einer ins Klo geschüttenden, größeren Menge Kartoffelsuppe folgt. Derweil knödelt Roy Black im Hintergrund bis zum letzten bitteren Ton. Einfach großartig.
Regelmäßig mit dabei war Hermann Hoffmann, ein absoluter Radionarr, der, ehe er zum „richtigen“ Radio kam, einen echten Piratensender (Sender Zitrone) betrieb und dafür sogar verknackt wurde. Er bekam die Chance und ging mit dem Sender Zitrone öffentlich-rechtlich auf Sendung, zudem präsentierte er jeden zweiten Samstag eine Viertelstunde „Die kleine Dachkammermusik“, deren Erkennungsmelodie „Sah ein Knab ein Röslein steh’n“ auf einer Luftpumpe gespielt wurde. Hoffmann hatte eine Reihe von Charakteren in seine Dachkammer „eingeladen“, die dann mehr oder weniger platte Witze von sich gaben. Aber die Witze waren nicht das Wesentliche. Da jeder der Herren, die Otto de Vries, Pankratius Schräuble oder Cäsar Schlotterbeck hießen, einen eigenen Dialekt sowie ein eigenes Temperament besaß, gab es rein akustisch eine Menge um die Ohren.
Hoffmann sprach alle Rollen selber, schrieb die begleitende Musik und die Songtexte und frickelte die einzelnen Spuren mühsam am Tonbandgerät zusammen. Die heutigen technischen Möglichkeiten, wie man sie schon mit einem Spielzeugcomputer hat, waren zu Hermann Hoffmanns Zeit, die bis etwa Mitte der 1980er Jahre reichte, noch undenkbar. Mehr als 600 Sendungen produzierte der fleißige Hoffmann, bis ihn die Entwicklung des Radios einholte.
„In den Fünfzigern und Sechzigern war das Radio noch im Mittelpunkt. Wir haben es eingeschaltet, um Hörspiele zu hören. Dann saßen wir im Kreis und lauschten gespannt. Diese Funktion hat heute längst das Fernsehen übernommen. Für eine bestimmte Sendung schaltet heute keiner mehr das Radio an. […] „Irgendwann wird es nur noch Autofahrer-Radio geben. Die Leute wollen einfach nicht mehr konzentriert Radio hören. Das ist wohl eine Generationenfrage.“
Ich, um zurück zu meiner Ausgangsfrage zu kommen, würde gerne noch zu bestimmten Sendungen das Radio einschalten. Aber seitdem sich die Sender zu Komplizen der grünen und roten Erziehung und des „Humanismus“ gemacht haben, mussten meine wenigen Versuche, noch einmal in ein Radio-Feature oder eine Dokumentation zu schalten, kläglich abgebrochen werden. Es war einfach nicht zu ertragen. Das gilt nicht nur für Nachrichten und politische Kommentare. „Satire und Kabarett“? Da bekommt man den Schreihals Schmickler an den Kopf geschmissen oder einen der vielen anderen Hofnarren, die, geil auf weitere Engagements, wissen, sie müssen sich nichts Intelligentes mehr einfallen lassen. Angewidert das Kürzel „AfD“ auszuspeien reicht, um als Comedian zu gelten und beim nächsten Mal wieder dabei sein zu dürfen. Genau so gut ist es, „Trump“ zu sagen, das ist sogar nur eine Silbe. „Darth Trump möchte auch Herrscher des Weltraums werden und den Mond bis 2028 besetzen.“
Ja selbst in manchen Kriminalhörspielen wird man heutzutage belehrt und zwangserzogen, und was am Vormittag der Rucola putzenden Hausfrau präsentiert wird, hat stets etwas mit Nachhaltigkeit, Energieeinsparung und dem drohenden Weltuntergang durch Fleischessen, CO2 Ausatmen und Autofahren zu tun. Da wünscht man sich direkt, endlich zu erfahren, wie es denn heute den Einhörnern und Gnomen auf der Mittelspur der Luxemburger Straße in Köln so geht.